Vor einigen Tagen war die Rhein-Zeitung zu Besuch und interviewte uns zu KingBEAR. Auch meine Erkrankung an ME/CFS war Thema in diesem sehr langen, anstrengenden und trotzdem angenehmen Gespräch. Am Ende entstanden daraus zwei Zeitungsberichte: einer zu unserer Firma und einer zu meinem Alltag mit der Erkrankung.
Der Artikel zu ME/CFS erschien am 24. Juni vorab als Online-Beitrag. Und er öffnete die Büchse der Pandora.
Vorwürfe, Unwahrheiten, Beleidigung und Hetze
Einige wenige Leser hatten den Beitrag, der hinter einer Paywall steckt, offenbar gelesen. Die meisten aber nur den Einleitungstext, in dem neben ME/CFS auch die Begriffe “Corona” und “Impfung” zu lesen waren. Ein gefundenes Fressen für das Empörium, gab es doch jetzt beinahe 5 Jahre nichts mehr, über das man sich echauffieren konnte. Und so wurde in den Kommentaren schließlich überhaupt nicht zum Thema ME/CFS diskutiert. Stattdessen ging es weitestgehend darum, dass die Krankheit ja nur von der “Zwangs-Impfung” komme, wir “Geimpften” ja selber Schuld seien und am Ende gar mit unseren “Gespikten Ausscheidungen” nun das Wohl der Allgemeinheit gefährden.
Die persönlichen Anfeindungen habe ich entsprechend kommentiert, einige wurden auch von der Moderation entfernt und der Beitrag nach einigen Stunden dann auch geschlossen. Unfassbar, wieviel Hass gegen eine Impfung in den Menschen schwelt. Eine Impfung die viele Leben gerettet hat, die aber auch nicht ohne Nebenwirkungen war. Ja, hier muss Vieles noch aufgearbeitet werden und da wird auch so Einiges vertrödelt und vertuscht. Auch richtig ist: Post-Vac existiert, und auch diese Patienten werden größtenteils allein gelassen. Aber um diese Themen ging es in diesem Artikel nicht. Ich habe kein Post-Vac, ich habe keine Erfahrungen dazu und habe mich dazu auch im Interview nicht geäußert. Weil es nicht Thema war.
Die wirklich miesen Kommentare sind mittlerweile entfernt, und ich war nicht schnell genug sie zu sichern. Vielleicht auch besser so. Den Teil der Kommentare, den ich noch “retten” konnte, findet ihr hier.
Anzweiflungen
Das nächste Drama bahnt sich auch schon seinen Weg: Wie kann der Kerl gleichzeitig einen Tag der offenen Tür veranstalten und dann “angeblich” schwer erkrankt sein? Diese Frage kommt nun über den Messenger, sie kommt aber auch aus dem persönlichen Umfeld. Und sie nervt, sie ist übergriffig und anmaßend.
Auch kranke Menschen haben ein Recht auf Glück, möglicherweise haben sie sogar einen höheren Bedarf daran. So ein Event wie unser “Tag der offenen Manufaktur” ist neben Marketing und Umsatz – beides schlicht existentiell erforderlich, auch um die Krankheitskosten zu decken – auch eine der wenigen Möglichkeiten, nochmal am Leben teilzunehmen solange das noch möglich ist. Besonders dieser eine Tag war mir wichtig: ein ganzes Jahr haben wir es nicht geschafft, wenigstens mal unseren Nachbarn zu zeigen was wir so tun und wer wir sind. Kurz nach dem Umzug startete für uns die Hochsaison, dann wurde ich krank und es war viel zu organisieren. Und ja, ich bin schlicht stolz darauf, dass wir das Ganze hier gemeinsam schaffen, obwohl ME/CFS dazwischengrätscht. So ziemlich alles andere im Leben wurde durch die Erkrankung auf den Kopf gestellt, vieles wurde unmöglich. Aber “unser Baby” läuft weiter. Und auch mit ME/CFS denke ich, dass ich das Recht dazu habe das auch mal zu feiern.
Die Vorbereitung dieses Tages zog sich aufgrund der “angezogenen Handbremse” nun ein gutes halbes Jahr. In der Woche vor dem Event habe ich alles andere gecancelt, um mir den Sonntag hinsichtlich “Akkustand” möglich zu machen. Es fällt mir immer noch schwer Hilfe anzunehmen, trotzdem habe ich sie bekommen und alle Beteiligten haben beim Auf- und Abbau die Arbeit gemacht. Mein Mann hat nach Feierabend teils bis in die Nacht hinein gewerkelt, damit alles klappt.
Das aber sehen die Kritiker nicht. Sie sehen mich lächelnd, aufrecht, gewaschen und unblutig auf einem Zeitungsfoto oder in einem Videobeitrag. Live erleben sie mich übrigens nicht oder sie sprechen mich zumindest nicht an, dafür reicht das Interesse dann auch wieder nicht. Sie sehen auch nicht meinen desaströsen Zustand am Tag danach, den ich für ein bisschen Glück billigend und vielleicht auch ein wenig leichtsinnig in Kauf genommen habe. Was sie aber sehen ist eine Chance für Kritik und Vorwürfe. Auf die Realität hingewiesen zweifeln sie diese an und unterstellen mir Betrug und Verrat.
Was erwarten solche Menschen eigentlich von mir, und was haben sie davon? Soll ich ernsthaft mit meiner Diagnose im Bett bleiben und das Leben an mir vorüberziehen lassen, nur um deren Weltbild nicht zu stören? Ob nun irgendwo eine Tür zuknallt oder ich einen Tag Spaß habe: beides kann einen Crash auslösen, der meinen Zustand dauerhaft verschlechtern kann. Morgen könnte der Tag sein, an dem für alle Zukunft nichts mehr geht. Soll ich einfach nur dasitzen und darauf warten, dass es endlich soweit ist? Oder ist es nicht doch meine Sache, wie ich mein Leben gestalte?
90% meiner Zeit betreibe ich ressourcenschonendes und verantwortungsvolles Pacing, um meine Aufgaben bewältigen zu können und zu verhindern in den nächsten Crash abzudriften. Das ist ein Full-Time-Job, der seinen Zweck erfüllt. Aber eben auch nicht mehr. Die letzten 10% gönne ich mir “Urlaub”. Den brauche ich, um nicht durchzudrehen, um soziale Kontakte zu pflegen und den anderen 90% einen Sinn zu geben. Das ist immer mit einem Risiko verbunden, zu dem ich mich bewusst entschieden habe.
Übrigens: die selben Leute die mich für meine Teilnahme an Events kritisieren, hauen mir sobald ich eben nicht vor die Tür gehe um die Ohren, dass man mich ja gar nicht mehr zu Gesicht bekommt, dass ich doch mal spazieren gehen soll oder mal Urlaub machen. Mein Fazit: denen ist es egal wie es mir geht und was mit mir los ist. Hauptsache es gibt was zum Empören und Belehren. Für solche Menschen bin ich nicht mehr als ein Werkzeug, um eigene Unzufriedenheit mit was-auch-immer auf die Welt loszulassen.
Scharlatane
“Heilsversprecher” haben nicht lange auf sich warten lassen: Schon wenige Minuten nachdem der Artikel online war prasselten über den Messenger windige Angebote zur ultimativen Heilung herein. Viele davon in Form offensichtlicher Werbung, z. B. für Ernährungsprogramme, Infusionstherapien beim Heilpraktiker oder – wirklich alarmierend – Plasmapherese in der Türkei. Aber auch Anfragen in der Form
Hallo! Ich habe den Bericht in der Rhein Zeitung über deine Erkrankung gelesen. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, deinen Zustand zu verbessern, würde es dich interessieren? Ganz spontan kannst du heute Abend an einer Infoveranstaltung per Zoom zugeschaltet werden oder wir telefonieren gerne mal.
Herzensgrüße
gab es reichlich. Dahinter verbargen sich fast immer irgendwelche tollen Nahrungsergänzungsmittel, die über Multilevel-Systeme vertrieben werden (auch bekannt als Schneeballsystem). Hier kann ich nur entschieden abraten: nichts von alledem ist irgendwie wissenschaftlich fundiert und man geht ein recht großes gesundheitliches Risiko ein. Dem ein oder anderen mag das ein oder andere tatsächlich helfen, aber nichts davon ist in irgendeiner Form belegt und die Anbieter so überhaupt gar nicht reglementiert und überwacht. In jedem Fall aber machen sie sehr offensichtlich ein Geschäft aus der Verzweiflung der Betroffenen.
Auffällig und ärgerlich: so ziemlich alle behaupten, ganzheitlich an das Thema ME/CFS heranzugehen. Spannend, wenn man den Patienten gar nicht kennt und gleich mit DER Patentlösung um die Ecke kommt. Eine Lösung, die selbstverständlich niemand außer dem Anbieter selbst kennt. Irgendwie klingt das von Anfang an nach Hokuspokus und übler Scharlatanerie. Beutelschneiderei eben.
Und deshalb ist der Artikel wichtig
Aus dem Austausch mit anderen “moderat Betroffenen” habe ich gelernt, dass diese Herausforderungen nicht exklusiv die meinen sind. Es wurde und wird viel in letzter Zeit recht viel über schwere ME/CFS-Fälle berichtet, bei denen auch für uninformierte Aussenstehende recht einfach ersichtlich ist, wie schwer die Erkrankung ist. Viel zu selten aber wird in der Berichterstattung deutlich, dass ME/CFS praktisch immer einmal klein anfängt und selbst dann schon einen schweren Einschnitt ins Leben bedeutet. Die Krankheit bestimmt den Alltag und es ist nicht leicht, sich dabei ein selbstbestimmtes und einigermaßen erfülltes Leben aufrecht zu erhalten. Es ist aber möglich und es bedarf keiner Erlaubnis durch Andere.
Das zu zeigen ist mir wichtig, und das Interview mit der RZ war dazu eine gute Gelegenheit. Die Rhein-Zeitung wird ja Gott sei Dank nicht nur von Idioten gelesen, und so geht vielleicht dem ein oder anderen doch noch ein Licht auf. Jedes Fünkchen Information hilft uns Betroffenen weiter, jeder Einblick in unseren nicht-normalen Alltag trägt hoffentlich zu mehr Sensibilität bei.
Und ja: dieser Bericht ist auch PR für KingBEAR. Auch dafür wurde ich bereits angefeindet. Mal ehrlich: ich wäre doch doof wenn ich es nicht nutzen würde! Mit Ausbruch meiner Erkrankung war KingBEAR ein – wie man landläufig sagt – Nebenjob. Mangels Aufklärung und Forschung ist ME/CFS nunmal eine teure Erkrankung für jeden Betroffenen, und irgendwie muss die Apothekenrechnung ja bezahlt werden. Das Krankengeld aus einem Teilzeit-Job reicht für Leben und Kranksein nicht aus und ich bin dank ME/CFS auch nicht mehr in der Lage, ständig große PR-Kampagnen und Events zu fahren. Einen aufklärenden Bericht nur deshalb nicht zu machen, weil er möglicherweise mit dem eigenen Unternehmen in Verbindung gebracht wird, wäre fahrlässig in jede Richtung.