Seit Oktober 2024 lebe ich mit der Diagnose ME/CFS, die Krankheit bestimmt aber bereits seit über 2 Jahren mein Leben (die absurde Geschichte bis zur Diagnose findest Du hier). Im Augenblick ist das alles andere als einfach. Irgendwie machbar, aber irre kompliziert und anstrengend.
Ein Tagesablauf
Ein Tag mit ME/CFS funktioniert nur mit akribischer Planung gut. Anderenfalls ist das Risiko für Überlastungen und schlimmstenfalls Crashs gewaltig, und am Ende funktioniert dann gar nichts.
Am Morgen
Der Tag startet früh. Extrem früh, denn die Nächte sind krankheitsbedingt unruhig. Meist gegen 4 haut es mich aus dem Bett. Die Schmerzmittel wirken dann nicht mehr, und in Ruhe sind die Muskelschmerzen echt garstig. Also Aufstehen und erst mal Kaffee. Der Körper will dann noch nicht so richtig: in den Armen und Beinen ist kaum genug Kraft für den Weg in die Küche, ich gehe balancierend-schwankend wie eine Ente. Auch das Hirn ist noch im Überlebensmodus und folgt festen Abläufen, die auf gar keinen Fall irgendwie gestört werden dürfen: jeder Weg ist geplant, um möglichst keine Energie zu verschwenden. Steht die Milch mal nicht am richtigen Platz, wird’s schwierig, schlimmstenfalls muss ich dann alles andere abbrechen. Denn: zum Entwickeln von Alternativ-Strategien ist das Hirn in diesem Zustand unfähig.
Nach einer guten Stunde ist zumindest der Kopf im Betriebsmodus, und das bisschen Bewegung hat die Schmerzen erträglich gemacht. Zwischen 5 und 7 scheint mein Hirn zu Höchstleistungen fähig, das ist dann die Zeit für Büroarbeit und Konzentration. Auch, weil die bessere Hälfte dann noch im Bett liegt und ich absolut ungestört bin, denn Störungen bleiben ein Problem.
Es folgt die erste Mega-Anstrengung des Tages: Duschen und Anziehen. Die heiße Dusche tut den Muskeln gut und die Schmerzen machen sich klein, aber gleichzeitig ist das furchtbar anstrengend. Oft genug muss ich mich nass erst mal zwei Minuten ausruhen, um wieder Kraft zum Abtrocknen zu haben. Das geht mitunter ganz schön an die Heizkosten. Mit Glück reicht die Kraft dann noch aus, um den Föhn anzuheben. Spätestens danach müssen aber erst mal 20 Minuten die Beine hoch, um Energie zu tanken. Denn: Anziehen ist Akrobatik. Arme rauf und runter, Beine hoch und in die Hose, Bücken, um Socken anzuziehen – mir war vorher gar nicht bewusst, wie viel Anstrengung das erfordern kann. Fertig bekleidet bin ich erst mal eine halbe Stunde komplett im Eimer und muss mich hinlegen.
Das morgendliche Gassi mit Loki, früher mal mein gechillter Start in den Tag, ist seit Monaten schlicht nicht möglich. Vormittags fehlt dazu die Kraft, deshalb gebe ich das an meinen Mann ab. Der muss morgens früh los und hat deshalb meinen Stress. Blöd, aber geht nicht anders.
Am Morgen will der Körper nicht. Die Belastungsgrenze liegt extrem niedrig, schon ein paar Schritte in der Wohnung können zu viel sein. Immerhin aber funktioniert der Kopf dank diverser Medikamente morgens so gut, dass alles Administrative für mich persönlich und für die Firma dann erledigt werden kann. Verbale Kommunikation wie Gesprächstermine oder Telefonate sind aber nach wie vor Killer: mehr als ein Gespräch am Tag ist nicht drin, es sei denn ich streiche alles andere. Ich erledige deshalb immer mehr per Mail und schalte andere Kommunikationskanäle währenddessen stumm. Noch viel mehr als zuvor hasse ich Sprachnachrichten, denn die muss ich mir mangels emotionalem Kontext 10mal anhören und mir Notizen machen, um alles zu erfassen. Im Telefonat hätte ich zumindest die Chance zu bremsen oder nachzufragen…
Ganz wichtig am Morgen ist die Planung des restlichen Tages. Gegen Mittag kann ich mittlerweile einigermaßen gut einschätzen, wie voll der Akku noch ist. Und für die “Nachmittags-Aufgaben” gibt es eine Bucket-List, aus der mich mir dann das herauspicke, was im Kräfte-Budget drin ist. Der Plan beinhaltet dann auch entsprechend viele Pausen, denn ohne die fliegt mir alles um die Ohren.
Mittagsruhe
Das was jetzt kommt, wäre mir vor einem Jahr noch peinlich gewesen: das Mittags-Schläfchen. Ohne das geht es aber nicht, sonst wäre der Tag um spätestens 14 Uhr zu Ende. Mit Schlafen hat das Schläfchen wenig zu tun, es ist mehr ein aktiv-gequältes Ausruhen. Beine Hoch, Zimmer dunkel, Stille. An richtig guten Tagen vielleicht noch den Fernseher an, meistens stresst das aber zu sehr. Durch die geistige Arbeit am Vormittag ist der Akku nun im Reserve-Betrieb und muss wieder laden. Glücklicherweise tut er das auch, sofern das Setting stimmt und ich wirklich 2 Stunden ununterbrochene Ruhe bekomme.
Eine Störung der Ruhe während dieser Zeit hat unerwartet heftige Auswirkungen. Ein Klingeln an der Tür, ein lautes Geräusch, und das war’s für diesen Tag. Ein bisschen ist das wie bei einem Firmware-Update: wird der Vorgang unterbrochen, geht nichts mehr. Den Mechanismus dahinter habe ich auch nach bald 8 Monaten nicht verstanden.
Nachmittag
Nach der Mittagsruhe geht es ans Abarbeiten des Plans, der Vormittags erstellt wurde. Beschäftigung und Pausen stehen dabei meist im Verhältnis 2:3. Nach 20 Minuten Aktivität folgen 30 Minuten Pause. Und Pause ist dabei kategorisch: hinlegen, Licht aus, regenerieren. Alles andere bringt nichts. Dieser Modus ist mittlerweile gut etabliert und funktioniert, er ist aber auf Kante genäht und bietet keinerlei Spielraum. Überziehe ich die Arbeit oder verkürze die Pausen, ist schnell Essig. Deshalb auch die sehr kleinteilige Bucket-List mit Aufgaben: funktioniert mal was nicht, kann ich zur Not auch auf andere Optionen ausweichen. Zu tun ist ja genug, denn selbst das “bisschen Haushalt” ist voll von Herausforderungen, die sich ein gesunder Mensch gar nicht bewusst macht. Spülmaschine ausladen oder Wäsche falten sind mit ME/CFS Herkulesaufgaben. Sie sind prinzipiell machbar, aber sie rauben weit mehr Energie als ihnen zustünde, und diese Energie fehlt dann für andere Dinge.
Aufgaben, die früher in kürzester Zeit mal eben so nebenher erledigt waren, dauern jetzt schnell mal den ganzen Tag. Glücklicherweise ist das “nur” eine Frage der Organisation, aber für schöne Dinge bleibt dann einfach keine Zeit. Gleichzeitig werden Selbstverständlichkeiten dadurch auch emotional schon mal zur Last, und es kostet ganz schön viel Kraft dann nicht durchzudrehen.
Ich empfinde es als wichtig für mein doch etwas angekratztes Ego, Dinge mit Wert zu machen. Deshalb besteht der “Regel-Nachmittag” immer zu zwei Dritteln aus Aufgaben für KingBEAR, den Rest verteile ich auf Alltagsaufgaben. Abgesehen vom Zeitbedarf ist so alles irgendwie machbar und gibt bei allem Elend so etwas wie Zufriedenheit. Sind mal Dinge eilig zu erledigen (große Bestellungen, Vorbereitung auf Märkte) wird eben umgeplant, und mittlerweile bin ich auch in der Lage, Hilfe anzunehmen. Zum Glück bin ich ja nicht alleine: mein Mann hilft so viel wie möglich, Freunde springen auch mal spontan ein, und die Schwiegermutter steht immer dann zur Seite wenn’s mal brennt. So kann ich – zumindest was KingBEAR anbelangt – mit einigermaßen ruhigem Gewissen der Krankheit den Stinkefinger zeigen.
Am späten Nachmittag gönne ich mir und dem Hund einen kleinen Spaziergang. Wir haben es ja nicht wirklich weit in den Wald (wir leben darin!) und da gibt es immer was zu sehen. Zumindest ist es mal eine Abwechslung von den eigenen vier Wänden. Mein Radius ist aber sehr begrenzt – 500m sind die Vernunfts-Grenze, denn ich muss ja auch wieder irgendwie zurück. Das Ganze passiert im Schneckentempo, aber es passiert. Hin und wieder lasse ich mich dazu verleiten, etwas weiter zu gehen. Ganz selten geht das auch, führt aber spätestens am Folgetag zum Mini-Crash. Oft genug verrecke ich dann aber ohne Kraft irgendwo, suche mir eine Bank und hänge da erst mal ab, bis es irgendwie unter Zittern und Schmerzen weitergeht. Der Fehler passiert mir immer wieder, und er macht mich gleichzeitig stolz und traurig.
Irgendwann am späten Nachmittag kommt dann mein Mann nach Hause und ist dann mit einem unkommunikativen und geistig abwesenden Etwas konfrontiert. Egal wie gut ich Pausen einhalten konnte, um die Zeit bin ich körperlich und geistig am täglichen Tiefpunkt und brauche unfairerweise erst mal Ruhe und Distanz. Zum Glück fängt sich das dann wieder ein wenig und ermöglicht uns ein Zusammensein. Während die bessere Hälfte den ganzen Tag unter Menschen war und was zu erzählen hat, ist bei mir recht wenig Aufregendes passiert. Das ist echt frustrierend, zumal ich mich ja schon im Kreis freue wenn ich nen Korb Wäsche gefaltet habe, das nach außen aber doch irgendwie albern wirkt. Hier müssen wir uns immer noch ein bisschen finden, vor allem ich selbst.
Abend
Große Sprünge gehen am Abend nicht mehr. Ich versuche das Kochen irgendwie auf meiner Aktivitäten-Liste unterzubringen, gelegentlich klappt das auch. Damit gebe ich mir das Gefühl, in unserer Beziehung nicht nur der Klotz am Bein zu sein, sondern auch etwas in Sachen Genuss beizutragen. Essen an sich ist für mich leider zu einem notwendigen Übel verkommen, denn es fehlt der Appetit und die Esserei ist wirklich kräftezehrend. Oft genug bringt mich die “Nahrungsaufnahme” schlussendlich über die Belastungsgrenze – das merke ich dann spätestens eine halbe Stunde nach dem Essen daran, dass mir irre kalt wird und die Lymphknoten besonders am Hals anschwellen.
Ist das Essen endlich drin, werfe ich die Schmerzmittel hinterher. Die Zeit bis zum Wirkeintritt nutze ich dafür, den Tag zu reflektieren. Das ist irre wichtig, um Änderungen meiner Belastungsgrenze festzustellen und entsprechend zu reagieren. Außerdem hilft es gegen das Schwarzsehen, denn es visualisiert nochmal, was alles trotz ME/CFS geklappt hat oder wo Änderungsoptionen zu finden sind, falls mal was nicht so reibungslos lief.
Ist danach noch etwas Kraft übrig, plane ich den kommenden Vormittag. Und dann geht’s ins Bett. Die Schmerzbehandlung mit Cannabis-Extrakt ist ein Segen: vorher wurden meine Muskelschmerzen besonders im Liegen derart heftig, das an Schlaf kein Denken war. Nun sind die Schmerzen nachts kein Thema mehr, und das ohne viele Nebenwirkungen. Trotzdem sind die Nächte unruhig: die Druckempfindlichkeit meiner Haut zwingt mich dazu, zu rotieren wie ein Grillhähnchen. Ansonsten gibts irgendwann wieder echt unangenehme Schwellungen oder nervigen Juckreiz. Mindestens einmal in der Stunde weckt mich das auf. So anstrengend das auch ist, es ist um Vieles besser als noch vor 4 Monaten. Trotzdem halt auch weniger erholsam als es sein sollte.
An schlechten Tagen oder während eines Crashs wird’s dann doof: Kribbeln in Armen und Beinen, eiskalte und schmerzende Hände und sintflutartige Schweissausbrüche verhindern jeden Schlaf und kurbeln eine nur schwer zu unterbrechende Abwärtsspirale an. Bisher habe ich da noch nichts gefunden was hilft, solche Phasen kann ich dann nur über mich ergehen lassen.
Alltags-Hürden
Als ich noch gesund war hätte ich mir nie ausdenken können, was kranken Menschen das Leben so schwer machen könnte. Wer nicht selbst betroffen ist, kann sich das alles schlicht nicht vorstellen.
Fußwege
Mein Bewegungsradius ist extrem klein, das Gehen ist mein größter Krafträuber. Es scheitert nicht wirklich an Ausdauer: ich kann kurzfristig echte Spitzenleistungen abrufen und auch mal nen Gewaltmarsch hinlegen. Dabei komme ich nicht wirklich außer Atem. Ich muss aber alle Warnsignale meines Körpers aktiv ignorieren und weiss spätestens dann, dass der Crash in den nächsten 72 Stunden folgen wird. Die Grenze dessen, was ich risikolos zurücklegen kann, liegt an guten Tagen bei 500 Metern. Danach setzen die ersten Warnsymptome ein und ich muss überdurchschnittlich viel Kraft investieren, um das Gleichgewicht zu halten. Ab diesem Punkt passiert auch jede Bewegung bewusst: von alleine bekommt mein Körper die nötigen Bewegungsabläufe nicht koordiniert. Ätzend an dieser Sache: niemand sieht dir diese Behinderung an, und wenn du es erklärst, wirst du oft genug und irgendwie nachvollziehbar für Bekloppt erklärt.
Ich überlege mir deshalb immer genau, wohin ich gehe und ob es das wert ist. Beim Einkaufen kommen nur noch Ziele infrage, bei denen ich direkt vor der Tür parken kann. Leider ist meine Schwerbehinderung immer noch nicht anerkannt, und so wird manch ein Arzt- oder Behördengang irgendwo in der Innenstadt allein aufgrund des Weges zum Martyrium. Meine hemdsärmelige Lösung ist nun Flitzi, der maximal peinliche Elektro-Tretroller. Der hilft zumindest in den Fällen, wo ich ihn mitnehmen kann.
Geselligkeit
Wer die Peanuts noch kennt, der erinnert sich an das Posaunen-Geräusch wenn dort die Erwachsenen sprechen. Ungefähr so nehme ich die Umgebung akustisch wahr, wenn mehr als eine Person spricht. Mega anstrengend, denn ich kann auch nicht gut meinen Gesprächspartner herausfiltern, geschweige denn ihm folgen, wenn um uns herum gesprochen wird. Das muss noch nicht mal laut sein, aber hohe Geräuschpegel treiben das dann auf die Spitze. 10 Minuten in einer solchen Umgebung fressen soviel Energie wie früher eine halbe Stunde Holzhacken.
Insgesamt sind Gespräche für mich überdurchschnittlich anstrengend. Alles ist gut, solange ich selbst das Ruder in der Hand halte. Im echten Dialog hingegen wird es schnell anstrengend, denn ich kann oft genug nicht so schnell reagieren wie mein Gegenüber spricht. So richtig schlimm wird es bei Leuten, die nicht auf den Punkt kommen: Inhalt von ausschmückendem Beiwerk zu trennen gelingt mir oft einfach nicht, die eigentlich wichtige Information geht dann verloren.
Von außen betrachtet wird es dann schwer, mich einzuordnen. Ich bin irgendwann einfach raus und wirke wahlweise abwesend oder genervt. Genervt bin ich dann nicht, sondern übelst frustriert, traurig, manchmal wütend über mich selbst oder die Situation. Oft genug schaffe ich es noch nicht mal darum zu bitten, langsamer zu sprechen oder nochmal zu wiederholen, und am Ende stehe ich da und habe praktisch nichts mitbekommen.
Die traurige Folge ist, dass ich zunehmend solche Situationen meide. Da ich ja in der Regel aufrecht und einigermaßen gepflegt vor meinem Gegenüber auftrete, fehlt dort meist auch das Verständnis für meine Situation. Und all zu oft läuft es dann wieder auf langwierige Erklärungen und Rechtfertigungen hinaus. Im Wortsinn fehlt mir dazu die Kraft.
Rechtfertigungszwang
Der anstrengendste Teil im Alltag mit Mitmenschen ist die ständige Notwendigkeit zu erklären, was mit mir los ist. Und traurigerweise reicht eine simple Erklärung in aller Regel nicht aus, sondern es läuft auf Rechtfertigung hinaus.
Wenn ich das Haus verlasse und mich in die Öffentlichkeit bewege, dann erfordert das viel Planung und manchmal tagelange Vorbereitung. Bevor ich rausgehe habe ich auf vieles verzichtet, um für meinen “Ausflug” genug Energie zu haben und auch im Nachgang nicht zu crashen. Das aber sieht niemand. Was die Leute sehen ist dann ein gesunder Mann mittleren Alters, der einigermaßen fröhlich durch die Weltgeschichte tingelt. Fröhlich bin ich dann tatsächlich, denn ich freue mich das Haus mal verlassen zu können.
Mein Auftreten bedeutet aber nicht, dass es mir gut geht. Um Einkaufen zu gehen oder zum Arzt zu kommen bleibt unter Umständen der Haushalt von 3 Tagen liegen, und den ganzen Ausflug über schwingt die Angst vor Unerwartetem mit, dass mich möglicherweise wieder für Tage ans Bett fesselt. Oft genug passiert es dann aber, das ich auf Leute treffe die mich kennen und die wissen, dass ich seit Monaten “out of order” bin, und dann geht’s los: “Bist Du wieder fit?”, “Du siehst aber gut aus!”, “dann kannst du ja endlich wieder arbeiten”. Und – zack – muss ich wieder und wieder erklären, dass das alles nicht so ist, dass es mir eigentlich zunehmend schlechter geht, dass ich nie wieder so arbeiten werde wie vorher. Und oft genug wird das dann infrage gestellt statt einfach zu akzeptieren, was Sache ist und vielleicht mal beim Einladen mit anzupacken oder schlicht fix nen Kaffee miteinander zu trinken.
Gleiches gilt leider nach wie vor bei Ärzten, Gutachtern und Behörden. Um da überhaupt hinzukommen, muss ich alles auffahren was ich zu bieten haben, und natürlich bin ich dann in einem einigermaßen guten Zustand vor Ort. Dafür geht aber eine komplette Woche flöten, in der ich dann definitiv nichts leisten kann. Gesehen wird aber nur dieser eine Moment, und für den Rest gibt es schlicht keine Belege. In diesem Modus als ernsthaft krank gesehen und anerkannt zu werden, ist die absolute Ausnahme. Die Regel ist als Simulant gestempelt zu werden und eben keine Unterstützung zu bekommen.
Die allgemeine Unkenntnis über ME/CFS, die immernoch vielerorts bestehende falsche Einordnung als psychosomatische Erkrankung, die permanente und falsche Gleichsetzung mit Long Covid – all das führt dazu, dass ich als Betroffener nicht nur jedem erklären muss, an was ich leide. Es geht weiter: ich selbst soll es immer wieder aufs Neue beweisen. Das Gefühl, welches meinen Gemütszustand zu dieser Problematik am Besten beschreibt, ist Verzweiflung. Jeden verdammten Tag. Und ich muss sehr aufpassen, mich zur Vermeidung nicht einfach völlig zu isolieren.
Tragisch finde ich, dass ich aufgrunddessen auch den Kontakt zu Menschen meide, die mir eigentlich nahestehen und es – hoffentlich – nur gut meinen. ME/CFS macht dich allergisch gegen Komplimente: wenn Du es gewöhnt bist, dich immer rechtfertigen zu müssen, dann stößt dir ein ernstgemeintes “du siehst aber gut aus” mehr als nur sauer auf.
Die Null-Unterstützungs-Politik
Eine sehr traurige Erkenntnis ist, das unser Sozialsystem vor ME/CFS vollständig kapituliert. Krankenkassen, Rentenversicherung, Behörden und Ärzte sind nicht nur absolut überfordert oder uninformiert, es entsteht auch der Eindruck dass sie die Existenz der Krankheit nach wie vor leugnen und Unterstützung aktiv verweigern, nur um mich als Betroffenen dem nächsten Kostenträger in der Kette zuzuspielen. In diesem System überhaupt irgendwie über die Runden zu kommen kostet mich seit Monaten mindestens ein Drittel meiner Energie, die Auseinandersetzung mit all den bürokratischen Herausforderungen hat seit Dezember die meisten Crashs überhaupt erst ausgelöst.
Bis heute gibt es 600.000 Betroffene und genau Null zugelassene Medikamente in Deutschland. In Rheinland-Pfalz gibt es in Summe 3 Fachambulanzen für Kassenpatienten, von denen nur eine für mich überhaupt erreichbar ist. Und die ist gnadenlos überlastet. Nach unserem Umzug war genau eine Hausarztpraxis überhaupt willens, mich als Patienten aufzunehmen, und dort kennt man die Erkrankung nicht. Immerhin aber fuchst man sich gemeinsam mit mir rein.
Ich habe genau einmal im Monat 20 Minuten Zeit, um in der Videosprechstunde mit meiner behandelnden Fachärztin alles zu besprechen. In diesen 20 Minuten müssen neben neu aufgetretenen Symptomen und deren Behandlung auch sämtliche organisatorischen Dinge wie Anträge, Widersprüche und Gutachten besprochen werden. Und oftmals reicht die Zeit nicht für alles aus. Da die Praxis mittlerweile aus allen Nähten platzt, findet die Kommunikation außerhalb der Sprechstunde nur noch per Mail statt – Reaktionszeit mittlerweile 10-14 Tage, und auch da geht immer irgendwas verloren.
Gleichzeitig erwartet die Krankenkasse meine Mitarbeit. So forderte sie mich auf, bei der Deutschen Rentenversicherung eine Rehabilitationsmaßnahme zu beantragen – anderenfalls würde die Krankengeldzahlung eingestellt. Der Antrag bei der DRV wurde noch am Tag des Eingangs abgelehnt: die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten seien noch nicht ausgeschöpft. Empfohlen wird bei einer nachgewiesenermaßen nicht psychosomatischen Erkrankung eine Psychotherapie. Die wiederum würde ich ja wirklich gern machen, um mit meinem Frust besser umgehen zu können. Ich versuche aber bereits seit November, einen Termin bei einem Therapeuten zu ergattern, der für mich auch realistisch zu erreichen ist. Erstgespräch: Ende Mai, Warteliste 14 Monate. Das ist die einzige Chance bei 25 Therapeuten im Umkreis. Und so verzögert sich alles wieder um mindestens ein Jahr, in dem sich mein Zustand kontinuierlich verschlechtert.
Facharzttermine zu bekommen ist ein Fulltime-Job, und aufgrund meiner Einschränkungen kann ich auch nicht den ganzen Tag telefonieren. Bei Wartezeiten von bis zu 6 Monaten wird dann ein Facharztbesuch aufgrund akuter Beschwerden schnell auch mal absurd: bis ich da bin, hat sich das wieder erledigt. Leider fehlt mir dann auch wieder gegenüber der Rentenversicherung oder den Gutachtern vom Versorgungsamt jeder Beleg für meine Probleme. Tipp der Krankenkasse: ich soll dann eben in die Notaufnahme gehen. Klar, mit nem Hautausschlag oder mit Schmerzen, die ich schon seit Monaten habe, macht das auch total Sinn. Schriftlich gibt mir das übrigens niemand.
Wirklich zielführende umfassende Untersuchungen bekommt man mit ME/CFS nur bei Privatärzten, deren Angebote gerade überall aus dem Boden sprießen um mit der Verzweiflung der Betroffenen noch ein Geschäft zu machen. Bei Kassenärzten (also bei den wenigen, die über die Existenz von ME/CFS Bescheid wissen), sprengt das jedes Budget und wird auch dort zur Selbstzahlerleistung. Hat man dann solche Befunde gegen viel Geld irgendwann mal zusammen, werden sie von Gutachtern am Ende wieder nicht anerkannt. Denn: es existiert bisher kein eindeutiger Biomarker, und die Befunde können im besten Fall die aufgrund reiner Beobachtung von klinischen Symptomen gestellte Diagnose untermauern. Arzthopping, Hypochondrie oder bloße Einbildung der Krankheit zu unterstellen ist dann wieder der einfachere Weg.
Die Kosten für mittlerweile gut erprobte, aber immer noch nicht zugelassene Medikamente werden immer noch nicht übernommen. Aus diversen Forschungsgruppen liegen ausführliche Listen mit Wirkstoffen und Nahrungsergänzungsmitteln, die wirklich Linderung und Leistungsverbesserung bringen, schon lange vor. Trotzdem weigern sich die Kassen. Und so zahle ich die komplette Behandlung aus eigener Tasche. Das sind mehrere hundert Euro im Monat, und hätte ich nicht die zusätzlichen Einkünfte aus der eigenen Firma, könnten wir uns das schlicht nicht leisten.
Gemeinsam mit meiner Ärztin und meinem Arbeitgeber habe ich einen Wiedereingliederungsplan über 6 Wochen erstellt, um in dieser Zeit die Arbeitszeit und -belastung langsam zu steigern und auch ohne Reha ermitteln zu können, was wann und wie möglich ist. Dieser Plan wurde ohne Angabe von Gründen seitens der Kasse um zwei Wochen gekürzt und im gleichen Schreiben schon gratuliert, dass ich dann ja in 4 Wochen wieder voll einsatzfähig sei und das Krankengeld nicht mehr bräuchte. Die Wiedereingliederung ist allerdings gescheitert. Nicht zuletzt deshalb, weil ich zu der Zeit die Kosten für Schmerzmittel nicht aufbringen konnte, die von der Kasse nicht übernommen werden.
Wir Betroffenen wünschen uns, dass die Forschung möglichst bald Ergebnisse liefert. Bis wir davon profitieren wird es aber noch Jahre dauern. Die Politik feiert sich selbst dafür dass nach 50 Jahren endlich mal Geld in Studien fließt, vergisst aber, das wir unsere Probleme im Hier und Jetzt haben. Fakt ist: es gibt keine Unterstützung, und Hilfe ist Glückssache. Oder sie hängt am Geldbeutel. Wissend, dass wir Betroffenen aufgrund unserer Erkrankung oftmals wehrlos sind, lässt man uns am ausgestreckten Arm verhungern. Ohne Lebensqualität und ohne zumindest symptomatische Behandlung wird einfach in Kauf genommen, dass sich der Zustand immer weiter verschlechtert. Aus meiner Sicht ist diese Hilf- und Perspektivlosigkeit der Hauptgrund dafür, warum die meisten Betroffenen als Folge eine Depression entwickeln. Die hier verpuffende Energie könnte wunderbar in aktive Stabilisierung investiert werden, würde schnell und niederschwelliger geholfen, könnten viele von uns zumindest stundenweise arbeiten gehen, sich am Sozialsystem und -leben beteiligen und Geld im Handel lassen. Stattdessen werden wir nach wie vor schlicht vergessen und tauchen bestenfalls in einer Kostenstatistik auf.
Für mich bedeutet das: weiter kämpfen und gleichzeitig sehen, wie ich auch ohne staatliche Unterstützung schlicht überlebe. Es ist nicht leicht, in all dem Wahnsinn auch noch Sinn für Positives zu behalten und sich zum Weitermachen zu motivieren. Aber noch gelingt es irgendwie. Was bleibt ist die Angst vor weiterer Verschlechterung, denn irgendwann reicht der Akku nicht mehr für die “Firewall”: bleibt es bei dieser Null-Unterstützung, geht viel zu viel Energie für Auseinandersetzungen und Bürokratie verloren. Energie, die viel besser in Strategien zur Alltagsbewältigung investiert wäre.
Fluch der Krankschreibung
Die aktuelle Situation ist – kurz gesagt – kacke. Als mir vor zwei Jahren klar wurde dass ich zunehmend weniger belastbar werde, entschloss ich mich für einen Teilzeitjob, um die laufenden Kosten zu decken und sozialversichert zu bleiben. Für alles Andere – für ein bisschen Luxus, Leidenschaft und Lebensqualität – konzentrierte ich mich auf KingBEAR. Nun bin ich krankgeschrieben, das Krankengeld geht komplett für die Behandlung und für ein paar Fixkosten drauf. Die Krankmeldung wiederum bremst die Arbeit für die eigene Firma massiv aus: auch wenn ich könnte muss ich besonders in Sachen Veranstaltungen sehr herunterfahren. Dadurch fehlen auch hier Einnahmen, die dringend nötig wären um Verbindlichkeiten aus unserem Umzug und Umbau zu bedienen, Mieten zu zahlen und in den weiteren Erhalt der Firma zu investieren.
Krankgeschrieben zu sein bedeutet nicht, dass man währenddessen wieder gesund wird. Vor allem nicht, wenn es für die Erkrankung weder Therapie noch Anerkennung gibt. Die mittlerweile fast 8 Monate Arbeitsunfähigkeit haben mir in Sachen Genesung nichts gebracht – wie auch bei einer unheilbaren Erkrankung. Mein Zustand verschlechtert sich seitdem weiter, ich habe aber immerhin eine schuldfreie Erklärung dafür und konnte lernen damit umzugehen.
Die Auswirkungen einer Krankmeldung empfinde ich dennoch als problematisch: man verliert recht schnell den Anschluss. In einem Umfeld, in dem jeder jeden kennt, traut man sich mit dem gelben Schein in der Tasche kaum vor die Tür. Die ohnehin schon schwierige Situation in Sachen “gesellschaftliches Verständnis von ME/CFS” wird noch problematischer, wenn Du an einem guten Tag im Baumarkt “erwischt” wirst während Du ein paar Sachen zum Renovieren kaufst. So schränkt man während der AU die Kontakte nach außen noch weiter ein, als ME/CFS es erforderlich macht.
Auch das Entwickeln neuer beruflicher Perspektiven wird schwierig: “krank ist krank”, eine Erprobung neuer Arbeits-Modi ist nur sehr eingeschränkt möglich. Das durfte ich auch beim Versuch der Wiedereingliederung erleben, als die Krankenkasse einfach mal davon ausging, dass nach vier Wochen alles wieder gut sein wird.
In Summe führt die Krankschreibung zu weiterer Isolation und Stagnation. Noch vorhandene Potentiale können nicht genutzt werden, liegen brach und verkümmern schlimmstenfalls. Ohne Unterstützung und trotzdem sehr passiv den Behörden ausgeliefert wartet man dann auf irgendein Wunder. Wissend, das sich der Zustand sehr wahrscheinlich nicht bessern wird, bringt es keine Perspektive, sondern nur Stress und Unsicherheit. Für “moderat” Betroffene wie mich wäre die Erwerbsminderungsrente eine gute Lösung, um zumindest bis zur nächsten Überprüfung des Anspruchs Stabilität zu haben und sich auch gesellschaftlich wieder irgendwie integrieren zu können.
Dies aber bewilligt zu bekommen ist mit ME/CFS alles andere als einfach: erneut kommt man als Betroffener in Beweiszwang, muss sich gegen Psychologisierung wehren und gegenüber fremden Gutachtern seine Einschränkungen nachweisen. Trotzdem wird das wohl mein nächster Schritt werden.